Medizintechnik & Umweltmonitoring

Pis: Prof. Dr. Karsten Seidl (Fraunhofer IMS), Prof. Dr. Daniel Erni (Universität Duisburg-Essen)

Im Rahmen von terahertz.NRW werden THz-basierte Konzepte für das interdisziplinäre Querschnittsthema der Medizintechnik erschlossen und in gemeinsamen visionären Anwendungsszenarien (Use Cases) demonstriert. Hierfür werden verschiedene neue Akteur:Innen der Medizin und Medizintechnik sowie Biologie (Kirchner, Klaes, Klode, Krämer, Schadendorf, Schmitz, Tschulik) mit den THz-Expert:Innen im Rahmen des Netzwerkes zusammengebracht. 

 

Die THz-gestützte Medizintechnik stellt eine Erweiterung der laufenden Verbundforschung z. B. aus SFB/TRR 196 MARIE und BMBF 6GEM dar. Sie ist insgesamt ein hochrelevantes Forschungsprogramm für terahertz.NRW hinsichtlich der Entwicklung innovativer Geräte für die Theranostik, Point-of-Care-Medizin bis hin zu neuartigen Systemen der THz-gestützten Krankenhaustechnik. Durch die medizinischen Schwerpunkte der beteiligten klinischen Partner bzw. Universitätskliniken liegt der Fokus v. a. auf Anwendungsgebiete der Neurorehabilitation, Gewebediagnostik und Dermatologie. Avisiert wird die Demonstration im Rahmen von drei konkreten Anwendungsfeldern: „Bewegungs- und Vitaldiagnostik“ (AP6.3), „Gewebediagnostik“ (AP6.4) und „Mikrofluidische Biosensoren“ (AP6.5).

 

Bewegungs- und Vitaldiagnostik (AP6.3, Seidl, Kaiser, Kirchner, Saraceno, Tschulik): Die Möglichkeit der THz-Technologie, Abstände mit sehr hoher Auflösung im Fernfeld auch durch Kleidung zu ermitteln, bietet die Möglichkeit der berührungslosen Vitaldiagnostik [KEB/2020]. Durch die Detektion von Muskelbewegungen wird potenziell die Ansteuerung von Exoskeletten und Prothesen ermöglicht. Darüber hinaus erlauben stoffspezifische Frequenzantworten eine multiparametrische Vitaldiagnostik, was die Ermittlung von Atem- und Pulsfrequenz, Pulswellenlaufzeit, aber auch den Glucosegehalt ermöglichen könnte. In AP2.6 (Czylwik, Kirchner, Seidl, Weimann) werden Systemansätze zur Detektion von Muskelbewegungen durch Mikrobewegungen der Haut flächig mithilfe von THz-Sensoren erarbeitet. Im AP5.4 (Seidl, Benson, Kirchner) werden KI-basierte Methoden entwickelt, um aus den THz-Fernfeldsensor-Messungen auf die verteilten Mikrobewegungen der Hautoberfläche z. B. am Unterarm (vergl. taktile Myographie) und damit auf den intendierten Fingerbewegungen zu schließen. Weiterhin wird die Feinansteuerung der Hand auf der Basis feiner, oberflächlich sichtbarer Muskelbewegung in Kombination mit dem Tracking mittels THz-Tags untersucht. Die Ansätze werden dann in AP6.3 (Bewegungs- und Vitaldiagnostik) für die Anwendung in Diagnostik, Monitoring und die Assistenz von Patienten zur Langzeitmessung von physiologischen Daten evaluiert. Geplant sind Funktionsstudien und Vergleichsmessungen mit State-of-the-Art EMG- sowie Ultraschall-basierten Ansätzen und alternativen Ansätzen der großflächigen kontaktbasierten Messung von Bewegungen der Muskeln.

 

„Gewebediagnostik“ (AP6.4, Hillger, Pfeiffer, Seidl, Stöhr, Klode, Schadendorff): Eine weitere visionäre Anwendung der THz-Technik in der Medizin ist die mobile Histopathologie auf der Grundlage einer hochauflösenden THz-Bildgebung zur Diagnose von Tumorgewebe und Neoplasmen hinsichtlich einer schnellen intraoperativen Vermessung von Tumorrändern [ZAY/2020]. Moderne funktionelle THz-Ansätze versuchen derzeit über die dominante Korrelation der Gewebecharakteristika zum Wassergehalt hinauszugehen, um auch morphologische und physikalische Eigenschaften erfassen zu können. Ein reflektometrisch und/oder spektroskopisch arbeitendes „THz-Endoskop“ stellt derzeit noch eine große technische Herausforderung dar. In AP4.1 (Hillger, Neumaier, Pfeiffer, Benson, Kirchner, Rennings, Stöhr, Hoffmann) wird eine hochauflösende THz-Nahfeldsensorik, ausgehend von aus Vorarbeiten der BUW verfügbarer (bisher glasfasergebundener) neuartiger Nahfeldsensorarchitekturen, zu vollständigen Systemen integriert und konsequent in anwendungsorientierte Komponenten weiterentwickelt. Aspekte sind hier eine Weiterentwicklung von „true-wireless“ Lösungen sowie die intelligente Signalverarbeitung (AP5.6, Hillger, Pfeiffer, Seidl, Balzer, Brenner, Klaes, Rolfes). Im Bereich der bildgebenden Sensorik werden in AP4.1 (Hillger, Neumaier, Pfeiffer, Benson, Kirchner, Rennings, Stöhr, Hoffmann) großskalige inkohärent betriebene THz-Nahfeldsensorarrays in konventioneller SiGe-Technologie für die mikroskopische klinische Tumorrandbildgebung in Echtzeit weiterentwickelt. Die entwickelten Systeme münden in einen technischen Demonstrator in AP5.6 (Hillger, Pfeiffer, Seidl, Erni, Brenner, Klaes, Rolfes) und können so einem größeren Nutzer:Innenkreis des Netzwerkes zur Verfügung gestellt werden. Die Kernanwendungsfelder hierfür liegen in der Erkennung von malignem Gewebe bei Tumoren.

 

„Mikrofluidische Biosensoren“ (AP6.5, Weyers, Klein, Hoffmann, Hofmann, Klaes): Durch die Kombination von THz-Sensorik [BRE/2018] mit mikrosystemtechnischen Herstellungsverfahren zeichnen sich interessante Anwendungsfelder in der Point-of-Care-Diagnostik und den Neurowissenschaften ab [ZHA/2021]. Hierfür werden in AP4.2 (Hillger, Neumaier, Pfeiffer, Weyers, Weimann, Klaes) Oberflächenfunktionalisierungen und in AP4.3 (Neumaier, Pfeiffer, Weyers, Benson, Klein, Weimann, Hofmann, Hoffmann) funktionalisierte THz-Mikrosystemttechnologien evaluiert. Mögliche Anwendungen sind die Erkennung von Krankheitserregern, die Früherkennung von Alzheimer-Erkrankungen sowie die Detektion von Neurotransmittern. Die Ansätze variieren dabei in Abhängigkeit der Targetspezies von der Anwesenheit von Pathogenen bis hin zur Detektion von veränderten Proteinen bei Alzheimer. Im Anschluss werden die Testreihen im Vergleich zu konventionellen Diagnoseverfahren evaluiert.

 

Wie die geplanten THz-Anwendungen in der Medizintechnik bildet auch das THz-basierte Umweltmonitoring in terahertz.NRW eine wesentliche, interdisziplinäre Erweiterung der laufenden Verbundforschung, z. B. aus SFB/TRR 196 MARIE und BMBF 6GEM. Im Bereich des Recyclings (z. B. für das Aussortieren von Kunststoffen) stehen durch das Fraunhofer FHR bereits ausgereifte Systemkonzepte [NUE/2017], [NUE/2020] zur THz-Radarbildgebung bei 80 GHz und 240 GHz zur Verfügung, die auch für die berührungslose Qualitätsprüfung von Lebensmitteln [BEC/2020] eingesetzt werden. In AP2.2 und AP3.2 werden diese Systemkonzepte, zusammen mit den in MARIE untersuchten abbildenden (MIMO-) Radar- und Reflektometriesystemen (ab 250 GHz bis 5 THz) um einen in allen Anwendungsfeldern des Netzwerkes anwendbaren THz-Tomographen erweitert (AP5.5). Dieser knüpft an einschlägigen Vorarbeiten im THz-Bereich (Balzer, Brenner) an und soll u. a. in AP5.5, AP6.6 an der RUB (Barowski, Krämer, Rolfes, Schulz) für eine so erstmals mögliche subterrane in-situ-Beobachtung des nährstoffabhängigen Wurzelwachstums von entsprechenden Modellpflanzen – u. a. von Möhren (Daucus carota) – in Indoor-Farming-Modulen eingesetzt werden. Das berührungslose THz-Pflanzenmonitoring konzentriert sich derzeit vorwiegend auf die Inspektion verschiedener Nutzpflanzen [HGE/2021] hinsichtlich Eigenschaften, die mit dem Wassergehalt [BLI/2020] [CAS/2021] korrelieren. terahertz.NRW will hingegen ein mobiles und funktionelles multispektrales, bildgebendes THz-Pflanzenmonitoring (u. a. in Kombination mit einer KI-basierten Fusion mit optischen Bilddaten) realisieren, das neben der Morphologie, Oberflächentextur und inneren Beschaffenheit auch die Dynamik des Nähr- und Schadstofftransports im Xylem sowie von Zucker und möglicherweise auch Signalstoffen im Phloem von gut untersuchten Modellpflanzen erfasst, wie der Haller’schen Schaumkresse (A. halleri), der Ackerschmalwand (A. thaliana) und der Pappel (Populus sp.). Hierzu ist ein THz-Nahfeld-Scanner vorgesehen (Rennings, Krämer), welcher auf azimutal um die Sprossachse angeordneten, passiven, dielektrischen Proben aufbaut, sodass mittelfristig auch ein Zugang sowohl zu Anwendungen im Freiland als auch zur genetisch-mechanistischen Forschung entsteht. Diese werden in AP4.1 mit einer 3D-gedruckten Keramiktechnologie miniaturisiert (Benson) und perspektivisch durch aktive integrierte THz-Chip-Feldsonden (AP4.3) ergänzt. Die in AP4.2 angestrebte biochemische Funktionalisierung (Delaittre) der an der BUW entwickelten herausragenden THz-Sensor-(Meta)-Oberflächen (Pfeiffer, Hillger) können direkt auf spezifische Pflanzenstrukturen sowie in Kombination mit mikrofluidisch bzw. mit MEMS steuerbaren Sensorkomponenten (Hoffmann, Hofmann, Klein) auf neue Zielsubstanzen aus dem Umweltmonitoring (sowie auf Bakterien) zugerüstet werden (AP6.5). Auf der Basis der Vorarbeiten aus MARIE zum roboterisierten THz-Inroom-Scanner (Kaiser, Saraceno, Sheikh) soll in AP6.6 auch die Möglichkeit eines auf Flugdrohnen beruhenden Outdoor-Monitorings der erwähnten Modellpflanzen evaluiert werden (Kaiser, Erni, Krämer, Balzer). Hierbei geht es um die funktionelle THz-Radarbildgebung im mm-Wellen-/THz-Bereich (AP6.6, AP3.2) für die topografische Erfassung von Schwermetalleinträgen (Zn, Cd), physiologischem Stress, Schädlingsfraß, Schädlingen und Bestäubern sowie deren räumliche Korrelationen. In diesem Zusammenhang sind auch modellgestützte bioelektromagnetische Studien zur THz-Immission am biologischen Gewebe, an Pflanzen und interagierenden Kleinlebewesen (z. B. Insekten) (Erni, Balzer) geplant (AP6.6, AP5.6), die längerfristig auch eine selektive, THz-Radar-gestützte Beobachtung der dynamischen Biosphäre unmittelbar um die Modellpflanze (Biom) ermöglichen sollen.